Von Dr. Eberhard Waffenschmidt, 3.12.2008
Kurz und knapp · NF3 ist ein hochpotentes Treibhausgas, das nicht in der Kyoto-Liste
von Treibhausgasen aufgenommen ist und dessen Emissionen daher nicht kontrolliert
werden. Es wird inzwischen in möglicherweise klimarelevanten Mengen
hergestellt. |
Kürzlich ging eine Debatte durch die Medien zu NF3 - Stickstoff-Trifluorid. Dieses Gas werde für die Herstellung von Solarzellen benötigt und sei extrem klimaschädlich. Während seriöse Medien wie Geo [4] sich auf diese Feststellung beschränken, wird von weniger seriösen Publizisten schon der Nutzen von Solarzellen in Frage gestellt, denn womöglich würde dadurch durch die Herstellung von Solarzellen das Klima mehr geschädigt, als das durch ihren Betrieb geschont. Was ist der Hintergrund dieser Debatte?
Die Debatte wurde im Sommer dieses Jahres losgetreten mit einer Fach-Veröffentlichung
durch zwei amerikanische Wissenschaftler [1]. Sie berichten
die in der Fachwelt schon länger bekannte Tatsache, dass NF3 tatsächlich
ein großes Potential zur Klimaschädigung hat: Seine Treibhauswirkung
ist zwischen rund 10 000 und 20 000 mal stärker als die selbe Menge Kohlendioxid
(CO2) und seine Lebensdauer in der Atmosphäre beträgt zwischen 550
und 740 Jahren, je nach dem, welche Annahmen man trifft.
Sie weisen insbesondere darauf hin - und das ist die Kernaussage der Veröffentlichung
- dass NF3 nicht in der Liste klimaschädlicher Stoffe aufgeführt wird,
die im Anhang des Protokolls der Klima-Vereinbarung von Kyoto zu finden ist.
Die Emissionen werden daher weder protokolliert noch kontrolliert. Sie weisen
ferner darauf hin, dass die geschätzte Menge von rund 4000 t an jährlich
produziertem NF3 aufgrund der starken Treibhauswirkung durchaus klimarelevant
sein kann. Die sich daraus ergebende Forderung nach einer Kontrolle von NF3
ist durchaus nachvollziehbar, insbesondere da die Verbrauchszahlen von NF3 weiter
wachsen.
NF3 wird seit der Jahrtausendwende verstärkt in der Halbleiterindustrie
angewandt. Seit dieser Zeit ersetzt der NF3-Prozess wesentlich klimaschädlichere
Verfahren mit CF4 oder SF6 und führt zu einer Reduktion von 88% der vergleichbarer
Emissionen [3]. Zur Zeit des Kyoto-Protokolls (1995) war
NF3 industriell noch nicht relevant und wurde daher nicht in den Anhang aufgenommen.
Man verwendet NF3 nahezu ausschließlich in der Halbleiterindustrie in
Dünnschicht-Aufdampfanlagen (CVD-Anlagen). Diese werden eingesetzt bei
der Herstellung von Halbleiterchips, aber insbesondere auch von Flachbildschirmen.
Bei Solarzellen werden sie nur bei Dünnschicht-Solarzellen verwendet. Bei
der Herstellung von kristallinen Siliziumsolarzellen wird NF3 nicht eingesetzt.
Es wird benötigt, um die Reaktionskammern der Aufdampfanlagen regelmäßig
von Rückständen zu reinigen [2]. Man erzeugt dazu
ein hochreaktives Plasma mit NF3. Das führt dazu, dass 97% bis 99% des
NF3 in klima-unschädliche Produkte zerlegt wird. Man kann also davon ausgehen,
dass lediglich etwa 1% bis 3% der hergestellten Menge NF3 tatsächlich in
die Atmosphäre gelangt.
NF3 wird auch nicht zwingend bei allen Dünnschichtprozessen benötigt,
sondern nur bei einigen. Wie Prof. Heuken von der RWTH Aachen als Spezialist
für Dünnschichttechnologien erläutert, gebe es auch andere Reinigungsverfahren
ohne NF3 oder eventuell die Möglichkeit, den Prozess so zu fahren, dass
eine Reinigung nicht notwendig wird. Das ist allerdings nicht grundsätzlich
für alle Prozesse möglich, sondern muss im Einzelfall geprüft
werden. Des weiteren gebe es die Möglichkeit, Restgase in einem speziellen
Zusatzgerät ("Scrubber") in unschädliche Bestandteile zu
zerlegen, so dass die Restmenge NF3 weiter verringert wird.
Aus diesen Gründen kann die entwichene Menge NF3 auch bei der Herstellung
von Dünnschichtsolarzellen von Typ zu Typ und von Hersteller zu Hersteller
stark variieren. Man kann daher nicht einfach angeben, wie viel NF3 zur Herstellung
eines Quadratmeters von Dünnschicht-Solarzellen benötigt wird.
Es ist leider nicht einmal bekannt, wie viel der jährlich hergestellten
Menge NF3 in der Produktion von Dünnschicht-Solarzellen verwendet wird.
Die Relevanz des Problems ergibt sich aus dem Vergleich mit anderen klimarelevanten
Emissionen. Wenn alle pro Jahr hergestellten 4000 t NF3 in die Atmosphäre
gelangten, entspräche das auf Grund der extremen Treibhauswirkung von NF3
der Klimawirkung von 67 Mio t CO2 [1]. Dies wäre der
"Worst Case". Tatsächlich ist jedoch eher anzunehmen, dass aufgrund
der üblichen Prozessführung etwa 1% bis 3% davon in die Atmosphäre
gelangen. Dies entspräche 0.67 bis 2.1 Mio t CO2 pro Jahr.
Tabelle 1 listet diese Daten im Vergleich zu anderen klimarelevanten
Emissionen. Im Vergleich zur Summe der Emissionen der 6 wichtigsten Klima-Gase
bzw. -Gasgruppen (SF6, PFCs, HFCs, N2O, CH4, CO2) betragen die vermutlichen
Emissionen von NF3 gerade einmal 0.0037% bis 0.012%, sind also noch kaum wahrnehmbar.
Sollte die gesamte hergestellte Menge NF3 in die Atmosphäre gelangen, so
würde dies etwa 0.37% an den Emissionen ausmachen.
Auch im Vergleich mit konventionellen Klimasündern scheint NF3 wenig klima-relevant
zu sein: Das Treibhauspotential der jährlich vermutlich entwichenen Menge
entspricht etwa 6 % des jährlichen Ausstoßes des weltgrößten
Kohlekraftwerks (3.6 GW, Tuoketuo-1, China).
Deutlich relevanter fällt allerdings der Vergleich mit den durch Solarzellen
eingesparten CO2 Emissionen aus. Um die weltweiten CO2 Einsparungen durch Solarzellen
abzuschätzen, werden folgende Annahmen getroffen: Die weltweite Solarzellen-Produktion
2008 wird aufgrund verschiedener Internetberichte auf ca. 2 GWpk geschätzt.
Von dieser Gesamtmenge werden etwa 10% als Dünnschichtzellen angenommen.
Zum Abschätzen des Einspaarpotentials wird eine jährliche Stromproduktion
von 800 kWh/kWpk zu Grunde gelegt. Weiterhin wird eine Einsparung von 0.55 kg
CO2/kWh im Vergleich zum konventionellen Strom-Mix angenommen. Diese beiden
Werte gelten für Deutschland und werden hier zur Abschätzung weltweit
verwendet. Mit diesen Angaben werden die eingesparten Emissionen über einer
Lebensdauer von 20 Jahren berechnet. Benötigte Energie zur Herstellung
wird nicht berücksichtigt, da es hier nur um die Größenordnung
gehen soll.
Mit diesen Annahmen ergeben sich für die gesamte weltweite Jahresproduktion
von Solarzellen ein CO2-Einspaarpotential von 17.6 Mio t CO2 über die Lebensdauer
von 20 Jahren und für die Dünnschichtzellen entsprechend 1.76 Mio
t CO2. Obwohl diese Zahlen nur eine grobe Abschätzung darstellen (und bitte
nicht bis auf die Kommastelle gezählt werden sollen), zeigt sich, dass
Emissionen von NF3 durchaus in der selben Größenordnung liegen.
Diese Zahlen bieten ein hervorragendes Mittel zur Manipulation: Vergleicht man
beispielsweise unzulässigerweise die Einsparungen durch Solarenergie (alle
Typen, ca. 17.6 Mio t CO2-Äquivalent pro Jahresproduktion 2008) mit dem
klimaschädlichen Potential des hergestellten NF3 (67 Mio t CO2-Äquivalent
für 2008), so kommt man zu einer verheerenden Bilanz zu ungunsten der Solarenergie.
Selbst der immer noch unfaire Vergleich der geschätzten Einspaarung durch
Dünnschichtsolarzellen (ca. 1.76 Mio t CO2-Äquivalent pro Jahresproduktion
2008) zu den mutmaßlichen Emissionen von NF3 (0.67 - 2.1 Mio t CO2-Äquivalent
für 2008) wirft kein gutes Licht auf den Nutzen von Dünnschichtsolarzellen.
Aber auch dieser Vergleich ist nicht möglich, da ein unbekannter, aber
sicher nicht kleiner Anteil der mutmaßlichen NF3-Emissionen durch andere
Produkte (insbesondere Flachbildschirme) erzeugt wird.
Der Vergleich der Zahlen zeigt nur (aber auch nicht weniger), dass das Problem
NF3 nicht vernachlässigbar ist und dringend genauerer Untersuchung bedarf.
Ganz wichtig ist es, die Wirkung von NF3 bei der Dünnschicht-Solarzellenproduktion
näher zu untersuchen.
Tabelle 1: Vergleich der Relevanz von Klimagasen und Emissionen, nach [1] und abgeschätzt(*).
Stoff | Emissionen in Mil. t CO2-Äquivalent pro Jahr |
NF3 weltweite Produktion 2008 |
67 |
NF3 weltweite Emissionen 2008* |
0.67 - 2.1 |
Kyoto Annex-I Emissions 2005
|
|
SF6 | 35 |
PFCs | 42 |
HFCs | 232 |
N2O | 1 130 |
CH4 | 1 615 |
CO2 | 15 128 |
Die weltgrößten Kohlekraftwerke
|
|
Scherer (Georgia, USA) | 25 |
Tuoketuo-1 (China) | 32 |
Einsparungen durch Solarzellen im Laufe ihres Lebens
(20 Jahre)*
|
|
Weltweite Jahresproduktion 2008 (ca. 2GWpk)* |
17.6 |
Weltweite Jahresproduktion Dünnschichtzellen 2008 (ca. 0.2GWpk)* | 1.76 |
* Eigene Abschätzung, siehe Text
Aufgrund des hohen Potentials als Klimaschädling sollte NF3 möglichst
bald in die Kyoto-Liste aufgenommen werden und dessen Emissionen kontrolliert
werden. Es müssen technische Maßnahmen vorgeschrieben werden, die
ein Entweichen von NF3 in die Atmosphäre verhindern.
Zur Zeit sind die tatsächlichen Emissionen im Vergleich zu anderen klimaschädlichen
Ausstößen sehr gering. Aber die Untersuchungen zeigen, dass die Klimawirkung
von NF3 nicht zu vernachlässigend ist und in der selben Größenordung
liegt wie das Einsparpotential von Solarzellen.
Es ist unbekannt, wie viel der Emissionen von NF3 für die Produktion von
Dünnschichtsolarzellen aufgewendet werden und wie viel für andere
Produkte (z.B. Flachbildschirme). Daher ist es ganz wichtig, die benötigte
Menge und die Wirkung von NF3 bei der Dünnschicht-Solarzellenproduktion
näher zu untersuchen.
[1] Michael J. Prather, Juo Hsu, "NF3, the greenhouse
gas missing from Kyoto", Geophysical Research Letters, Vol. 35, p. L12810,
2008
[2] Andrew D. Johnson, William R. Entley, Peter J. Maroulis,
"Reducing PFC gas emissions from CVD chamber cleaning", Reprint with
revisions from: Solid State Technology, Dec. 2000.
[3] Andrew D. Johnson, Peter J. Maroulis, and Mark I. Sistern,
"Environmental Aspects of Solar Cell Manufacturing: Maintaining the Global
Warming Advantage", Poster information by the manufacturer Air Products
and Chemicals, Inc.
[4] Geo 11/ 008, S185